Einleitende Bemerkungen von Fabio Panetta, Mitglied des EZB-Direktoriums, vor dem Ausschuss für Wirtschaft und Währung des Europäischen Parlaments
Brüssel, 15. Juni 2022
Ich freue mich sehr, Ihnen heute von den Fortschritten beim Projekt digitaler Euro berichten zu dürfen.
Mit einem digitalen Euro könnten die Menschen in Europa Zentralbankgeld überall im Euroraum für digitale Zahlungen nutzen – genauso, wie sie heute ihre Einkäufe in Geschäften mit Bargeld bezahlen können.
Die Digitalisierung von Zahlungsvorgängen schreitet zusehends voran. Daher ist es nur folgerichtig, dass auch das Zentralbankgeld fit für das digitale Zeitalter gemacht wird. Dieser Schritt ist aus zweierlei Gründen unabdingbar:
Erstens müssen wir die Rolle von Zentralbankgeld als Anker des Zahlungssystems bewahren, damit die verschiedenen Formen des Geldes problemlos nebeneinander bestehen, ineinander umgetauscht werden und einander ergänzen können. Es bedarf eines starken Ankers, damit die Einheitlichkeit des Geldes, die monetäre Souveränität und die Integrität des Finanzsystems erhalten bleiben.
Zweitens würde ein digitaler Euro zu unserer strategischen Autonomie und zu wirtschaftlicher Effizienz beitragen, denn er wäre eine europäische Zahlungslösung, die für alle digitalen Zahlungen eingesetzt werden könnte. Mit ihm würden die gesellschaftlichen Ziele Europas erreicht und er würde auf einer europäischen Infrastruktur basieren.
Wir werden den digitalen Euro so gestalten, dass er attraktiv ist für seine Nutzerinnen und Nutzer, die gerne überall mit ihm zahlen können möchten.[1] Dies ist möglich, wenn der digitale Euro den Status als gesetzliches Zahlungsmittel erhält, und darüber entscheiden Sie, die Gesetzgeber. Der Status würde auch dazu beitragen, jene Netzwerkeffekte zu erreichen, die für den Erfolg von Zahlungslösungen entscheidend sind.[2]
Wir streben zudem den größtmöglichen Schutz der Privatsphäre an[3], möchten zur finanziellen Inklusion beitragen und die digitale Innovation vorantreiben, einschließlich der Programmierbarkeit von Zahlungen.[4]
Was die Umsetzung betrifft, arbeiten wir aktuell daran, die Zeit bis zur Markteinführung des digitalen Euro sowie die mit ihm verbundenen Kosten, Risiken und seinen ökologischen Fußabdruck zu minimieren.
Insbesondere wollen wir sicherstellen, dass der digitale Euro auf den Erfahrungen der Finanzintermediäre im Bereich der kundenorientierten Dienstleistungen aufbaut, keine privaten Zahlungsmittel verdrängt und die Finanzstabilität gewahrt bleibt. Und genau dieser Aspekt, die potenziellen Auswirkungen eines digitalen Euro auf das Finanzsystem, bildet den Schwerpunkt meiner heutigen Ausführungen.
Der digitale Euro und die Entwicklung des Finanzsystems
Bei unseren Überlegungen zum Design des digitalen Euro betrachten wir nicht nur die derzeitige Zahlungsverkehrslandschaft – wir machen uns auch Gedanken über ihre künftige Entwicklung.
Stellen Sie sich eine Welt vor, in der die Zentralbank weiter nur Bargeld anbietet, die Leute aber zunehmend lieber digital zahlen möchten, und dies nur mit digitalem Geld privater Anbieter machen können.[5]
In einer solchen Welt würde das Zentralbankgeld seine wichtige Rolle im Zahlungsverkehr verlieren, und es wäre nicht mehr möglich, die Komplementarität und Konvertibilität von staatlichem und privaten Geld[6] zu gewährleisten. Der gesamte monetäre und finanzielle Sektor würde seines Ankers, des Zentralbankgelds, beraubt. Dadurch würde Instabilität drohen.[7]
Es ist auch denkbar, dass digitale Zahlungslösungen und -technologien aus Ländern außerhalb Europas unseren Zahlungsverkehrsmarkt dominieren könnten. In einigen Segmenten, etwa bei Karten und Online-Zahlungen, ist dies bereits heute zu beobachten. Verschärft würde dieses Risiko, wenn Big-Tech-Unternehmen, die ihren sehr großen Kundenstamm zu ihrem Vorteil nutzen könnten, die von ihnen angebotene Palette an Zahlungsmitteln ausweiten. Dies würde Fragen bezüglich unserer Autonomie und des Schutzes der Privatsphäre bei Zahlungen aufwerfen. Sogar die Souveränität Europas könnte hiervon bedroht werden.[8]
Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, dass in den großen Volkswirtschaften im internationalen Währungssystem digitales Zentralbankgeld (Central Bank Digital Currencies – CBDCs) eingeführt wird. Solche CBDCs hätten Vorteile in puncto Effizienz, Skalierbarkeit, Liquidität und Sicherheit, was ihre Attraktivität auf internationaler Ebene steigern würde. Sie hätten außerdem das Potenzial, grenzüberschreitende Zahlungen zu erleichtern, was ihre Rolle als globale Zahlungseinheit stärken würde.[9] Vor diesem Hintergrund keinen digitalen Euro auszugeben, könnte die internationale Rolle des Euro untergraben und zu weiteren Risiken für die Souveränität führen.
Dieses Szenario steht zwar nicht unmittelbar bevor, könnte aber in Zukunft eintreten, wenn wir nicht heute schon aktiv werden.
Handeln wir nicht, so wird es beim Thema digitales Geld auch zu einer immer größeren Verwirrung kommen. Krypto-Assets sind ein Paradebeispiel hierfür.[10] Ungedeckte Krypto-Assets können beispielsweise nicht dieselben Funktionen wie Geld bieten, denn sie sind weder stabil noch skalierbar. Transaktionen sind langsam und teuer. Und in mancher Form stellen sie eine Gefahr für die Umwelt und für andere gesellschaftliche Ziele dar. Stablecoins sind indessen anfällig für Anstürme, wie wir kürzlich bei den algorithmischen Stablecoins gesehen haben. In diesem Zusammenhang ist es äußerst wichtig, noch vorhandene regulatorische Lücken im Bereich der Krypto-Assets zu schließen. Ich zähle darauf, dass das Parlament dafür sorgt, dass aus den laufenden Verhandlungen über die EU-Verordnung zu Märkten für Krypto-Assets (MiCA)[11] und den derzeitigen Gesetzgebungsvorschlägen zur Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung ein ehrgeiziger aufsichtsrechtlicher Rahmen resultiert. Dies gilt insbesondere für die Übermittlung von Angaben bei Geldtransfers und Transfers bestimmter Krypto-Assets.[12]
Damit keine Verwirrung darüber entsteht, was digitales Geld ist und was nicht, muss die Zentralbank ihr eigenes digitales Geld anbieten. Sie muss auf den Digitalisierungsbedarf reagieren und in der Welt des digitalen Finanzwesens einen Stabilitätsanker bieten.
Schutz der Stabilität des Finanzsystems
Damit der digitale Euro diese Rolle erfüllen kann, müssen wir sorgfältig bewerten, welche Auswirkung er auf die Geldpolitik, die Finanzstabilität und die Bereitstellung von Dienstleistungen durch Finanzintermediäre haben könnte.[13]
Selbstverständlich würde ein digitaler Euro von der EZB ausgegeben. Anders als private Akteure, die den digitalen Zahlungsmarkt der Zukunft dominieren könnten – wie z. B. Big Techs – würde die Zentralbank Finanzstabilitätsaspekte genau im Auge behalten und auf den Erhalt der Vielfalt und Dynamik des Systems achten.
Das heißt nicht, dass der Status quo beibehalten werden muss. Es bedeutet vielmehr, dass Risiken, die die Einführung eines digitalen Euro mit sich bringen könnte, sowohl in normalen Zeiten als auch in Zeiten finanzieller Spannungen eingedämmt werden müssen. Diese Aspekte haben wir in den vergangenen Monaten eingehend erörtert.
Wir untersuchen genau, mit welchen Risiken für die Transmission der Geldpolitik und für die Finanzstabilität es verbunden sein könnte, wenn große Teile der Bankeinlagen im Euroraum in digitale Euro umgetauscht werden.
Derzeit sind Einlagen die Hauptfinanzierungsquelle der Banken im Euroraum.[14] Ohne eine wohl durchdachte Ausgestaltung könnte ein digitaler Euro dazu führen, dass ein zu großer Teil dieser Einlagen ersetzt wird. Banken können auf diese Abflüsse regieren, indem sie den Trade-off zwischen Finanzierungskosten und Liquiditätsrisiko steuern.[15] Die Attraktivität der Einlagen bei Geschäftsbanken wird auch beeinflussen, inwieweit es zu Substitutionen kommt.
Etwaige unerwünschte Nebeneffekte der Ausgabe eines digitalen Euro für Geldpolitik, Finanzstabilität und die Vergabe von Krediten an die Realwirtschaft sollten jedoch im Voraus durch die Ausgestaltung des digitalen Euro minimiert werden.
Es ist in der Tat möglich, einen digitalen Euro mit wirkungsvollen Instrumenten auszustatten, die verhindern, dass er als Anlageform verwendet wird anstatt ausschließlich als Zahlungsmittel.
Eines dieser Instrumente beinhaltet quantitative Obergrenzen für individuelle Guthaben.[16] Ein weiteres Instrument soll davon abhalten, den digitalen Euro als Form der Anlage zu nutzen, indem Guthaben oberhalb eines gewissen Schwellenwerts unattraktiv verzinst werden und für größere Guthaben noch unattraktivere Zinsen gezahlt werden.[17]
Bei der Ausgestaltung eines digitalen Euro möchten wir beide Instrumente – quantitative Obergrenzen und eine gestaffelte Verzinsung – einbetten. Wenn die mögliche Einführung eines digitalen Euro näher rückt, werden wir entscheiden, wie wir diese Instrumente kombinieren und kalibrieren, um die Finanzstabilität, unseren geldpolitischen Kurs und die geldpolitische Transmission zu wahren.[18] Bei dieser Entscheidung wird es wichtig sein, das zum besagten Zeitpunkt vorherrschende wirtschaftliche und finanzielle Umfeld zu berücksichtigen.
Unseren vorläufigen Analysen zufolge würden durch eine Begrenzung des Gesamtbestands an digitalen Euro auf 1 bis 1,5 Billionen € negative Effekte für das Finanzsystem und die Geldpolitik vermieden. Dieser Betrag wäre mit dem derzeitigen Volumen des Bargeldumlaufs vergleichbar. Bei einer Bevölkerungszahl von derzeit rund 340 Millionen Menschen im Euroraum bedeutet dies, dass jede(r) von ihnen etwa 3 000 € bis 4 000 € in digitaler Form halten könnte.
Zwei „dynamische“ Faktoren gilt es zu berücksichtigen, wenn man die Anfangsparameter feststeckt, um Guthaben an digitalen Euro für Anlagezwecke zu begrenzen oder um dafür zu sorgen, dass das Halten großer Guthaben in digitalen Euro für Anlagezwecke nicht attraktiv ist. Erstens: Die Menschen werden die neue digitale Währung allmählich zu nutzen anfangen. Vermutlich wird es mehrere Jahre dauern, bis die Mehrheit digitale Euro besitzt. Zweitens kann es sinnvoll sein, bei der Kalibrierung dieser Instrumente auf Nummer sicher zu gehen und sie dann auf Grundlage von Erfahrungen und der allmählichen Akzeptanz des digitalen Euro mit der Zeit anzupassen.
Bei der Ausgestaltung der Instrumente werden wir zudem um Einfachheit bemüht sein, sowohl was die technische Umsetzung als auch was das Nutzererlebnis betrifft.[19] Die Leute sollen ein Produkt bekommen, das leicht zu verstehen und zu verwenden ist.
Beitrag zu einem effizienten Währungs- und Zahlungssystem
Indem wir gewährleisten, dass Zentralbankgeld im gesamten Euroraum gut zugänglich und für digitale Retail-Zahlungen weitläufig einsetzbar ist, helfen wir nicht nur, die Integrität und Stabilität unseres Finanzsystems zu wahren. Wir würden auf diese Weise auch zu einem effizienten Währungs- und Zahlungssystem in Europa beitragen.
Ein digitaler Euro würde einen Beitrag zur Stärkung der strategischen Autonomie und Widerstandsfähigkeit des Euro-Retail-Zahlungsmarkts leisten. So wären wir auch imstande, zu reagieren, wenn es durch das Auftreten geopolitischer Risiken Störungen der Euro-Zahlungsströme aufträten.
Die Ausgabe eines digitalen Euro würde die Souveränität und Stabilität Europas in zweierlei Hinsicht stützen: indem sie zur Entwicklung von Zahlungsdiensten beiträgt, hinter denen europäische Anbieter stehen, und indem sie ein widerstandsfähiges Ökosystem für Euro-Retail-Zahlungen fördert.
Damit der digitale Euro dieses Ziel erreichen kann, müssen die Beteiligten aus dem privaten und dem öffentlichen Sektor zusammenarbeiten und auf eine wahrhaft europaweite Lösung für digitale Zahlungen hinarbeiten. Erinnern wir uns einmal an die Einführung des Euro-Bargelds: Sie war ein gemeinsames Projekt, bei dem Akteure aus dem privaten und öffentlichen Sektor zusammenarbeiteten. Diese gute Zusammenarbeit sollte uns nun im digitalen Zeitalter erneut gelingen.
Auch Finanzintermediäre würden bei der Verbreitung des digitalen Euro eine wichtige Rolle spielen. Ihr Erfahrungsschatz, insbesondere ihre Expertise in Bereichen wie Onboarding von Verbraucherinnen und Verbrauchern, Anti-Geldwäscheprüfungen und kundenorientierte Dienstleistungen, ist äußerst wertvoll für uns.[20]
Durch einen digitalen Euro sollten Dienstleistungen und Geschäftsmöglichkeiten erweitert und nicht begrenzt werden, damit Serviceanbieter ihr Portfolio ausbauen und neue Produkte und Dienste mit dem digitalen Euro für ihre Kundschaft entwickeln können. Vor diesem Hintergrund verstärkten wir unsere Zusammenarbeit mit Banken und anderen Marktakteuren, darunter auch Verbrauchervertreter und Einzelhändler. Deren Meinungen hören wir uns genau an.[21]
Schlussbemerkungen
Lassen Sie mich nun zum Schluss kommen.
Wir konzipieren einen digitalen Euro, der es ermöglicht, Zentralbankgeld für digitale Zahlungen einzusetzen. Wir geben den Menschen in Europa ein digitales Zahlungsmittel an die Hand, mit dem sie überall im Euroraum ihre Alltagseinkäufe erledigen können, und unterstützen so die gesellschaftlichen Ziele Europas.
Von der Zentralbank ausgegebenes digitales Geld, das allen zur Verfügung steht, wäre ein Stabilitätsanker für den Zahlungsmarkt. Zentralbankgeld und privates Geld würden in bewährter Weise weiterhin nebeneinander existieren.
Bei der Bereitstellung des digitalen Euro werden Finanzintermediäre eine Schlüsselrolle spielen.
Wir arbeiten daran, frühzeitig allen etwaigen unerwünschten Folgen entgegenzuwirken, die die Ausgabe eines digitalen Euro auf die Geldpolitik, die Finanzstabilität und die Allokation von Krediten an die Realwirtschaft haben könnte.
Als Gesetzgeber werden Sie eine wichtige Rolle spielen, wenn es darum geht, dass im digitalen Zeitalter der notwendige regulatorische Rahmen sowohl für öffentliche als auch private Formen von Geld vorhanden ist. Ich werde Sie meinerseits in regelmäßigen Abständen über die Fortschritte bei unserer Untersuchungsphase auf dem Laufenden halten.
Und nun freue ich mich auf den Austausch mit Ihnen.
Die Ergebnisse der Fokusgruppen ließen darauf schließen, dass die Befragten es am wichtigsten fanden, dass man mit einem neuen digitalen Zahlungsinstrument überall bezahlen könnte. Dieses Ergebnis war unabhängig vom Land oder der Altersgruppe der Befragten. Am zweitwichtigsten fanden die befragten Personen unkomplizierte, kontaktlose Zahlungen in Echtzeit, gerade für Transaktionen zwischen Privatpersonen. Außerdem wünschen sich die Teilnehmenden der Fokusgruppen eine Lösung, die Echtzeitzahlungen zwischen Privatpersonen ermöglicht, und zwar unabhängig davon, welche Plattform die beteiligten Parteien jeweils nutzen. Siehe Kantar Public, Study on New Digital Payment Methods, März 2022.
Eine digitale Wirtschaft lebt von Netzwerkeffekten, und digitales Geld ist ein Netzwerkgut. Je mehr Menschen also den digitalen Euro verwenden, desto attraktiver und wertvoller würde er für andere Nutzerinnen und Nutzer. Dadurch würde sich wiederum tendenziell die Zahl derjenigen erhöhen, die ihn als normales Zahlungsmittel verwenden möchten. Siehe auch M. L. Katz und C. Shapiro, Systems Competition and Network Effects, Journal of Economic Perspectives, Band 8, Nr. 2, 1994, S. 93-115; sowie S. Claessens, G. Dobos, D. Klingebiel und L. Laeven, The growing importance of networks in finance and its effects on competition, 2003, in A. Nagurney (Hrsg.), Innovations in financial and economic networks, Elgar, S. 110-135.
Es wären rechtliche Änderungen am aktuellen aufsichtsrechtlichen Rahmen zur Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung notwendig, um ein hohes Maß an Schutz der Privatsphäre zu ermöglichen, welches für risikoärmere Zahlungen mit dem digitalen Euro über das derzeitige Basisszenario hinausginge – das heißt vereinfachte Due-Diligence-Prüfung bei Online-Transaktionen mit geringen Beträgen und Befreiung kontaktloser Kleinbetragszahlungen von der Überwachungspflicht. Siehe F. Panetta, Ein digitaler Euro, der die Bedürfnisse der Bevölkerung erfüllt – das richtige Gleichgewicht finden, Einleitende Bemerkungen vor dem Ausschuss für Wirtschaft und Währung des europäischen Parlaments, 30. März 2022, und Präsentation vor der Euro-Gruppe, Digital euro – Privacy options, 4. April 2022.
Siehe F. Panetta, 2022, a. a. O.
Verbraucherinnen und Verbraucher nutzen schon heute zunehmend bargeldlose Zahlungsmittel. Mittlerweise werden nur 20 % des Bargeldbestands für Zahlungen verwendet. Vor 15 Jahren waren es noch 35 %. Siehe A. Zamora-Pérez, The paradox of banknotes: understanding the demand for cash beyond transactional use (Das Banknoten-Paradoxon: Erkenntnisse zur nicht transaktionsbedingten Bargeldnachfrage), Wirtschaftsbericht, Ausgabe 2/2021, EZB, Frankfurt am Main.
Wir sind es gewohnt, private Geldformen und Zentralbankgeld nach Lust und Laune gleichermaßen zu nutzen. Die Euro-Banknoten und ‑Münzen sind gesetzliches Zahlungsmittel im Euroraum. Bargeld ist die einzige Form von Zentralbankgeld, auf die wir alle unmittelbar zugreifen können. Das Vertrauen in private Geldformen wie Bankeinlagen, Kreditkarten und elektronische Bezahllösungen beruht auf der Möglichkeit, sie 1:1 in Zentralbankgeld umtauschen zu können. Nur so können die Zahlungssysteme und der Handel reibungslos funktionieren.
Siehe F. Panetta, Central bank digital currencies: a monetary anchor for digital innovation, Rede beim Elcano Royal Institute, Madrid, 5. November 2021.
F. Panetta, The present and future of money in the digital age, Vortrag im Rahmen der „Lectiones cooperativae“ bei Federcasse, Rom, 10. Dezember 2021.
F. Panetta, “Hic sunt leones” – open research questions on the international dimension of central bank digital currencies, Rede bei der Konferenz von EZB und CEBRA zu internationalen Aspekten digitaler Währungen und von Fintech, Frankfurt am Main, 19. Oktober 2021.
F. Panetta, For a few cryptos more: the Wild West of crypto finance, Rede an der Columbia University, New York, 25. April 2022. Siehe auch L. Hermans et al., Decrypting financial stability risks in crypto-asset markets, Financial Stability Review, EZB, Mai 2022.
Insbesondere wäre es wichtig, dass Stablecoins mit algorithmusbasiertem Stabilisierungsmechanismus wie Krypto-Assets behandelt werden, die keine E-Geld-Token (e-money token – EMT) oder wertreferenzierte Token (asset-references token – ART) sind. Außerdem sollten sie nicht für Zahlungen verwendet werden. Da in der Vergangenheit einige algorithmische Stablecoins abgestürzt sind (man denke etwa an den jüngsten Crash von TerraUSD), haben sich algorithmusbasierte Stabilisierungsmechanismen ohne Reserven aus konzeptioneller Sicht als fehlerhaft erwiesen und können in puncto Stabilität keine bessere Bilanz vorweisen als Bitcoins. Das heißt, dass algorithmische Stablecoins ohne Emittent und Reserve genauso behandelt werden sollten wie Krypto-Assets, die keine EMT oder ART sind. Weiterhin ist die Qualität von Krypto-Assets nicht ausreichend, um den Wert von ART und EMT abzusichern und sie stabil zu halten. Daher sollten zu ihren Reservevermögen keine Krypto-Assets gehören – weder ART, EMT noch sonstige Krypto-Assets. Sie sollten auch nicht in Krypto-Assets investiert sein. Ferner sollten weitere Klarstellungen erfolgen, um ART, die auf andere Krypto-Assets referenzieren, von konventionellen Finanzinstrumenten abzugrenzen. Ein ART, der so ausgestaltet ist, dass seine Wertstabilität durch die Referenzierung auf ein anderes Krypto-Asset oder einen Korb von Krypto-Assets gewährleistet wird, könnte als Finanzinstrument betrachtet werden (ein Krypto-Asset, das den Wert eines anderen Krypto-Assets nachbildet, kann z. B. ein börsengehandelter Fonds (Exchange-Traded Fund – ETF) sein). Ein solches Krypto-Asset sollte durch die einschlägigen EU-Rechtsvorschriften geregelt werden (z. B. die Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente oder die Marktmissbrauchsverordnung).
Sinnvoll wäre auch, wenn die neue europäische Behörde zur Geldwäschebekämpfung die Anbieter der riskantesten Krypto-Assets überwachen würde. Dies würde erheblich dazu beitragen, die Aufsicht in allen EU-Mitgliedstaaten zu harmonisieren.
Eine erschöpfende Abhandlung der Auswirkungen der Einführung eines digitalen Euro auf das Währungs- und Finanzsystem findet sich in F. Panetta, The present and future of money in the digital age, Vortrag im Rahmen der „Lectiones cooperativae“ bei Federcasse, Rom, 10. Dezember 2021. Siehe auch R. Adalid et al., Central bank digital currency and bank intermediation, ECB Occasional Paper, Nr. 293, Mai 2022. Bei den Analysen in diesem Occasional Paper werden verschiedene Ansätze zur Beurteilung der Folgen eines digitalen Euro für die Banken im Euroraum betrachtet.
Etwa 40 % der Gesamtverbindlichkeiten der Banken im Euroraum sind täglich fällige Einlagen von privaten Haushalten und nichtfinanziellen Kapitalgesellschaften. Einlagen von Privatkunden sind ein Merkmal, über das sich Geschäftsbanken definieren. Die Hereinnahme von Einlagen und rückzahlbaren Mitteln sind im EU-Recht das wichtigste Kriterium für die Einstufung als Kreditinstitut. Der Großteil der Privatkundeneinlagen kann täglich abgezogen werden und wird zu sehr niedrigen Kurzfristsätzen verzinst. In der Praxis sind sie jedoch eine stabile Refinanzierungsform, außer in Zeiten von Bankenkrisen. Dank dieser Merkmale können Banken Kredite mit längeren Laufzeiten anbieten und behalten nur einen Bruchteil des Nennwerts der auf diese Weise geschaffenen Einlagen in Form von Zentralbankreserven. Dies ist die Grundlage des fraktionalen Reservesystems.
Kurzfristig können die einzelnen Banken folgendermaßen auf Abflüsse reagieren: a) sie können ihre in der Bilanz ausgewiesenen Überschussreserven bei der Zentralbank verwenden und so ihren Bestand an Überschussreserven verringern, b) sie können auf dem Interbankenmarkt Reserven anderer Banken erwerben, entweder durch Veräußerung von Vermögenswerten oder über Kreditaufnahme, wobei diese Geschäfte besichert oder unbesichert sein und verschiedene Laufzeiten haben können, und c) sie können sich weitere Reserven bei der Zentralbank beschaffen, indem sie Vermögenswerte verkaufen oder sie bei besicherten Kreditgeschäften als Sicherheiten einsetzen.
Eine Obergrenze für individuelle Guthaben ist ein Höchstbetrag einer Retail-CBDC, den einzelne Endnutzer halten dürfen. Siehe das Glossar zum digitalen Euro (nur auf Englisch verfügbar).
Der Retail-CBDC-Zins ist der für Retail-CBDC-Guthaben geltende Zinssatz. Die Verzinsung gilt als gestaffelt, wenn die anhand von Schwellenwerten definierten Guthabenstufen unterschiedlich verzinst werden. Siehe das Glossar zum digitalen Euro (nur auf Englisch verfügbar).
Das Design eines digitalen Euro würde wahrscheinlich eine Kombination verschiedener Instrumente vorsehen, auch wenn nicht alle zwangsweise zum Zeitpunkt der Einführung aktiviert würden.
So befassen wir uns derzeit z. B. mit einer Wasserfall-Funktionalität. Sie würde es den Nutzerinnen und Nutzern erlauben, über die Guthabenobergrenze hinausgehende Zahlungen in digitalen Euro zu erhalten, indem ein Konto für digitale Euro an ein Bankkonto bei einer Geschäftsbank gekoppelt wird. Der Wasserfallansatz ist eine Möglichkeit, um die Retail-CBDC-Guthaben der Endnutzer so zu steuern, dass Retail-CBDC oberhalb des Schwellenwerts automatisch in Guthaben auf einem Bankkonto bei einer vom Endnutzer gewählten Geschäftsbank umgewandelt werden. Siehe das Glossar zum digitalen Euro (nur auf Englisch verfügbar). Guthabenobergrenzen könnten auch nach Nutzerart differenziert werden, um den Zahlungsbedürfnissen der Bürgerinnen und Bürger, die in der Regel die Zahlungspflichtigen sind, und denen von Unternehmen, die zumeist Empfänger von Zahlungen mit digitalen Euro sind, Rechnung zu tragen.
F. Panetta, More than an intellectual game: exploring the monetary policy and financial stability implications of central bank digital currencies, Rede bei der IESE Business School Banking Initiative Conference on Technology and Finance, Frankfurt am Main, 8. April 2022.
Durch einen intensiven Austausch mit den Marktakteuren wird sichergestellt, dass ein digitaler Euro den Bedürfnissen seiner Nutzerinnen und Nutzer entspricht. Eine ganze Reihe von Initiativen wurde ins Leben gerufen, darunter Marktkontaktgruppen, Umfragen und Aufforderungen zur Interessenbekundung zu den technischen Gestaltungsmerkmalen eines digitalen Euro. Überdies findet ein Meinungsaustausch zum digitalen Euro zwischen Fachleuten der EZB und Vertretern europäischer zivilgesellschaftlicher Organisationen und Fachleuten aus der Wissenschaftswelt statt. Siehe Erklärung zum Stakeholder Engagement der EZB (Seite nur auf Englisch verfügbar).
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